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Willkommen in meiner Buchwelt

GYM

Verena Kessler

Hanser Berlin

Ich gebe es zu, ich war eine dieser typischen Fitness-Studio-Karteileichen. Die Beiträge wurden regelmäßig bezahlt, aber spätestens nach drei Monaten, sah man mich im Studio eher kaum noch.

Nach dem ersten Drittel dieses Buches wollte ich sofort los und mich wieder anmelden und ich checkte gleich mal wieder vegane Proteinquellen. 

Die namenlose Ich-Erzählerin macht es mir von Anfang an schwer sie zu mögen und dennoch hat sie etwas, dass mich in ihren Bann zieht. Als sie den Job im Mega Gym annimmt, ist klar, dass sie irgendwas zu verbergen hat, irgendwas ist schief gelaufen im Leben aber Verena Kessler schafft es, die Spannung zu halten und nur tröpchenweise Informationen preiszugeben, bis wir den großen Knall komplett erfahren.

Auf diesem Weg wird das Gym zu einer Obsession. Ich will nicht zu viel spoilern, aber der Weg hat mich lachen und staunen lassen, aber erieß mich auch angewidert meinen zukünftigen Fitness-Studio Vertrag überdenken.

Die Charaktere rund um die Erzählerin sind herrlich gezeichnet, ich hatte direkt Bilder im Kopf. Da ist der selbsternannte Feminist und Studio Chef Ferhat. Şeyda, seine in dem ganzen Fitness-Potpourri so normale Schwester mit Tochter Lila. @ijustwannaswet Swetlana, Fitness Instructor und Millie die 18jährige liebenswerte Thekenkraft. 

Irgendwie wirkt anfangs noch alles wie eine smarte Fitness-Familie aber die Vergangenheit der Erzählerin und die Lügen, in die sie sich verstrickt, sorgen noch für einiges an Witz und Trouble.

Der Aufhänger könnte nämlich nicht Comedy-affiner sein. Um den Job im Gym zu bekommen und gleichzeitig ihren nicht ganz so fitten Körper zu erklären, erfindet die Protagonistin einfach mal eine frischgebackene Mama-Rolle mit Baby. Die Unterhaltung ist vorprogrammiert.

Wer jetzt aber eine leichte Komödie erwartet, den muss ich enttäuschen. Freunde des schwarzen Humors kommen da mehr auf ihren Geschmack. 

Ich habe das Buch vor zwei Monaten gelesen und überlege immer noch, ob ich es genial oder einfach nur drüber finde. Wenn ihr wissen wollt, was die billable hour ist und wer zu den High Performern gehört lest das Buch. Ich garantiere euch zudem, dass ihr richtig Lust auf sportliche Cocktails bekommt. Wer möchte nicht gern einen Muscle Hustle oder einen Bunny Booster trinken.


Meine Mutter

Bettina Flitner

Kiepenheuer & Witsch

“Stiller Gruß, lebe wohl, Ruhe in Frieden. Wie soll kann ein Gruß sein? Kann man noch Wohlleben, wenn man tot ist? Und kann man in Frieden ruhen, wenn man sich im Badezimmer erhängt hat?”Ich lese sehr gern Bücher, die sich mit der eigenen Identität beschäftigen. Dazu gehört oft, sich den Schatten der Vergangenheit zu stellen, die eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten. Bettina Flitner tut dies in ‘Meine Mutter’. Der Suizid ihrer Mutter liegt mehrere Jahrzehnte zurück, aber Bettina Flitner schreibt, als wäre die Mutter erst kürzlich gegangen. Wir tauchen beim Lesen tief in die Vergangenheit ein. Dieses Buch ist mehr als eine Mutter-Tochter-Geschichte. Es ist ein Zeitzeugnis, ein Familiendrama, ein Gesellschaftsportrait.Nach wenigen Seiten, war ich vollkommen eingenommen, auch wenn sich das Leid durch die Seiten zieht, ist da neben der Melancholie noch so viel mehr. Obwohl das Buch eher ruhig daher kommt, spürte ich beim Lesen ein ständiges Pulsieren und war stark bewegt. Bettina Flitners Schreibstil fesselt und ‘Meine Mutter’ ist eines dieser Bücher deren Inhalt lange in meinem Kopf bleiben wird.


𝐙𝐖𝐈𝐒𝐂𝐇𝐄𝐍 𝐔𝐍𝐒 𝐋𝐈𝐄𝐆𝐓 𝐀𝐔𝐆𝐔𝐒𝐓

Fikri Anıl Altıntaş

C.H. Beck Verlag

Immer öfter lese ich Bücher, in denen sich Autor*innen mit ihrer eigenen Biografie bzw. der ihrer Eltern beschäftigen. Immer öfter sind es Bücher, in denen der (ebenfalls oft) zu frühe Tod eines Elternteils bearbeitet wird. Ich glaube, dass ich mich bewusst unbewusst für diese Bücher entscheide, weil mir mit fortschreitendem Alter die eigene Endlichkeit immer mehr als Tatsache manifestiert und das obwohl ich die Endlichkeit meiner Eltern noch nicht wahrhaben will.

Als ich Fikri Anıl Altıntaş bei der Leipziger Buchmesse zum ersten Mal live erleben durfte, war mir sofort klar, dass ich seine Buch lesen werde. Seine empathische, weltoffene Art spiegelt sich in seinen Schreibstil wieder, die einerseits so klar ist und auf der anderen Seite so viel Poesie besitzt. 

Ich bin eingetaucht und das Jetzt, dass durch die Krankheit der Mutter schmerzhaft, aber immer liebend ist und die Vergangenheit in die Biografie der jungen Frau, die einmal die Mutter werden wird. Mutter scheint mir hier als Begriff viel zu hart. Sie ist Mürüvvet. Ich habe sie, wie auch den erzählenden Autor, in mein Herz geschlossen. Auch nach dem Lesen ist es , als wäre Mürüvvet noch hier, wäre noch nicht vorausgegangen, als würde ein Stück von ihr bleiben. Und so ist es auch. Sie ist in dem Buch, sie ist in Anıl, in seiner Schwester, in Tamer, dem Enkel. 

Ich habe geweint beim Lesen, ich wollte in die Türkei der Siebziger reisen, ich bekam Appetit auf Mantı, Halva und Gözleme, aber vor allem war ich tief berührt.

Während ich das Buch las, erholte sich mein Papa so langsam von den Folgen seiner Krebserkrankung. Der Krebs ist ein tückisches Biest und auch wenn es in ‘ Zwischen uns liegt August’ nicht DAS Happy End gibt, ist es für mich doch ein Buch des Lebens und des Trostes. Ich weiß, wie wichtig das Jetzt und Heute ist und ich werde versuchen jeden Tag aufs Neue zu bejahen.

Danke, für dieses wunderbare Buch.


Das Geschenk

Gaea Schoeters

Zsolnay Verlag

Mir war klar, dass ich etwas von Gaea Schoeters lesen muss, nachdem ich sie auf der Buchmesse live erlebt habe. Sie war mir auf Anhieb so sympathisch. ‘Die Trophäe’ kam am diesen Tag mit und nun muss ich gestehen, dass ich dieses Buch immer noch nicht gelesen habe.

Daher war es eine ideale Gelegenheit, dass ich ‘Das Geschenk’ lesen durfte. Vielleicht fehlt mir etwas Vorlauf, aber das Buch hat auch ohne Vorwissen seinen Reiz. 

Wie eine Utopie kommt diese kurze Geschichte daher, vielleicht auch wie eine schwarze Komödie. 20.000 Elefanten in Deutschland. Klingt witzig und irgendwie auch schön, ist aber in Wahrheit eine Katastrophe. Was steckt dahinter? Wie damit umgehen? Welche Konsequenzen hat die Situation?

Übrigens auch ein feministisches Buch:

“… ; Hartmann nimmt kein Blatt vor den Mund. Und sie kann zupacken. Zwei Gründe, warum sie es nie in die Führungsriege der Partei geschafft hat. Auch in der Politik wird von Frauen eine gewisse Demut und Unterwürfigkeit erwartet.”

Gaea Schoeters liefert keine Strategie oder perfekt Lösung, vielmehr stellt sie globale Zusammenhänge in Frage ohne anzuprangern. Eine Geschichte, die mehr Fragen als Antworten liefert, verwirrt, weird ist und genau dadurch Diskussionsstoff bietet. Ein Buch, dass für mich perfekt gewesen wäre für einen Buchclub.

Wer gründet einen mit mir in Berlin?


HEIMAT

Hannah Lühmann

hanserblau

Ich muss zugeben, ich habe erst vor einiger Zeit von den sogenannten TradWifes erfahren. 

Als ich mir ein Instagram Profil einer dieser selbsternannten TradWifes anschaute, dachte ich erst, dass es  sich um Satire handelt. Um so überraschter, ja regelrecht schockiert war ich, als es sich als absolut wahr herausstellte. Schockiert, weil es so fern meiner eigenen Einstellung zu Rollenbildern und Lebenswünschen verläuft.

Im Buch wird die Tradwife von Karolin verkörpert und als Leserin fragte ich mich öfter, ist sie jetzt wirklich Tradwife und/der AFD-Symphatisantin oder ist sie gefangen in einer Rolle, in die sie bestimmte Lebensumstände hineingezwungen haben? Die Protagonistin Jana, eine Zugezogene, verfällt Karoline bzw. ihrer Lebensweise. Ich konnte mich in Jana hineinversetzen, obgleich ich sie nur in Ansätzen verstehen konnte. Der Wunsch nach Zugehörigkeit, das schlechte Gewissen den eigenen Kindern gegenüber, eine unglückliche Beziehung & das alles kann die eigene Einstellung beeinflussen, dass ist mir bewusst. 

Ich habe ‘Heimat’ gern gelesen. Hannah Lühmanns Schreibstil machte es mir auch sehr leicht. Und doch spürte ich eine Fremdheit mit dem Thema und es kam mir nicht ganz auserzählt vor. 

Womit ich aber wirklich hadere, ist das Ende. Das war mir irgendwie zu offen, zu weird oder böse, zu sehr Hollywood.

Da bleiben zu viele Fragen.


Ja, Nein, Vielleicht

Doris Knecht

Hanser Berlin

Es ist ganz natürlich, dass ich mich inzwischen Protagonistinnen um die 50 viel verbundener fühle, als jenen die, die sehr viel jünger sind. Schließlich winkt die 50 immer rigoroser (aber ja, ich habe noch 14 Monate bis es soweit ist). Nicht dass mich Bücher mit jungen Frauen nicht interessieren, aber ich merke, dass deren Probleme oft nicht mehr so tangieren, weil es einfach schon so weit weg ist. Die namenlose Protagonistin schloss ich daher schnell ins Herz, ebenso wie ihre sehr unterschiedlichen Schwestern, wie sich ihre erwachsenen Zwillingskinder.In ‘Ja, Nein, Vielleicht ‘ geht es um das Frausein, ums bei sich sein und auch um Liebe. Klar kann man sich mit Ende 50 verlieben. “Er besetzt meinen Kopf” wunderbarer kann man es nicht beschreiben. Doris Knecht schreibt und ich fühle mich direkt angesprochen. ‘Es ist alles wie früher, nur anders’. Ich mag es, wie die Erzählerin bei sich ist, die Unsicherheit aus jungen Jahren hat sich in ein Selbstbewusstsein gewandelt. Vor Enttäuschungen sind wir auch weiteren Verlauf unseres Lebens nicht gefeit, aber sie müssen uns nicht mehr den Boden unter den Füßen wegreißen. Die Protagonistin ist bei sich und merkt, was wichtig ist im Leben und auf wen sie zählen kann.  Die Gemeinschaft, die in der Not sofort zur Stelle ist, hat mich immens berührt.Ein Buch, dass ich fast hintereinander weggelesen habe, mit einem wahren Reifen an klugen Zitaten. Ich habe jetzt Lust auf mehr von Doris Knecht bekommen.


BLINDE GEISTER

Lina Schwenk

[Rezensionsexemplar]. C.H. Beck Verlag

“Die Stille zu viert gehört für mich zu den großen Momenten.” (Seite 31)

Lina Schwenk präsentiert uns hier ein ruhiges Buch, dass aber dennoch voll aufwallender Kräfte ist. Eine kleine feine Familiengeschichte, so mutet es zunächst an, mit Eltern, die bis ins hohe Alter voller Liebe sind, die sich immer halten und brauchen. Karl und Rita, geprägt vom Krieg. Mit Ängsten und Traumata, die ihr Leben im Allgemeinen nicht beeinflussen, das Familienleben im Kleinen aber schon. Eine Einzelfallgeschichte, die zeigt, wie die Nachkriegsgeneration mit den Wunden der Eltern zu kämpfen hat und diese Traumata übernimmt bzw. verinnerlicht.

Rita und Karl sind liebende Eltern, aber sie merken nicht bzw erst spät, wie sich der Krieg in ihren Köpfen vor allem auf ihre jüngere Tochter Olivia auswirkt. Olivia, die lange, die engen Räume ihrer Kindheit sucht und sich nie wirklich davon befreien kann. Scheinbar erst mit der übernächsten Generation setzt ein Heilen ein. Ein Heilen, dass durch einen weiteren Krieg in Europa bedroht ist.

Lina Schwenk vermag es auf nicht einmal 190 Seiten, mehr als ein halbes Jahrhundert Familiengeschichte, teilweise fragmentartig aber doch immer ganz rund zu erzählen. Ein Snackbook, dass den Namen nicht verträgt, weil es keinen Snacks sondern eher einem Mehr-Gänge-Menü entspricht.

Und ich freue mich sehr, dass Lina Schwenk mit  ‘Blinde Geister’ für den Deutschen Buchpreis nominiert ist.

𝐒𝐂𝐇𝐀𝐓𝐓𝐄𝐍𝐆𝐑ü𝐍𝐄𝐒 𝐓𝐀𝐋

Kristina Hauff

“Warum machst du das?” flüsterte er in ihren Rücken.

“Was?”

“Wenn etwas schön ist, warum machst du es kaputt?”

(Seite 262)

Wenn ihr in einer Leseflaute steckt, dann lest dieses Buch. Für mich war es eine Mischung aus Kammerspiel und Psychogramm. Die Geschichte hält viele Spannungsmomente bereit, aber ohne dass man kurzfristige Ängste entwickelt und sich nach dem Lesen nicht mehr aus dem Haus traut. 

Kristina Hauff schafft mit einem imaginären Dorf im Schwarzwald das perfekte Setting. Manchmal musste ich ein wenig an ‘Das finstere Tal’ denken. Einerseits ist da dieses beschauliche, aber auch altbackene Flair, auf der anderen Seite zieht mich die ursprüngliche, teilweise auch düstere Umgebung magisch an und ich möchte direkt einen Urlaub dort buchen, um mich auf die Fährte des Schakals zu machen. Ja, tatsächlich spielt ein Schakal hier eine interessante Rolle. Auch das fasziniert mich an Kristina Hauffs Schreibstil. Die Bilder, die sie beschreibt und die sich in meinen Kopf manifestieren. Die Doppeldeutigkeit mancher Worte – wenn zum Beispiel die Kälte der Nacht nicht nur die Außentemperatur meint. 

Eine handvoll Charaktere lernen wir intensiv kennen und jeder einzelne wurde gut herausgearbeitet. Die Sympathien wechselten sich im Laufe des Lesens an. Fand ich jemanden am Anfang interessant, wurde daraus später Abneigung. Gab es Personen, die ich zunächst unmöglich fand, wandelte es sich zu Mitleid. Den Lesenden wird eine Vielfalt geboten, die einiges abverlangt und größtmöglich unterhält.

Ab einem gewissen Zeitpunkt, wurde es etwas vorhersehbar, aber das Lesevergnügen blieb dennoch. Eine Geschichte zwischen Traditionen und Werten auf der einen Seite und Geheimnissen sowie Aus- und Aufbrüchen auf der anderen.

Ich habe “Schattengrünes Tal* gern gelesen und durfte Kristina Hauff bei einer Lesung live erleben. Vielen Dank für diesen unterhaltsamen, empathischen Abend.

𝐖𝐎𝐇𝐈𝐍 𝐃𝐔 𝐀𝐔𝐂𝐇 𝐆𝐄𝐇𝐒𝐓

Christina Fonthes

Übersetzt von: Michaela Grabinger

Diogenes Verlag

“Schweigen heißt nicht, dass nichts zu hören ist; Schweigen ist eine Sprache.” (Seite 15)Wieder ein Buch, dass auf verschiedenen Zeitebenen spielt. Ich liebe das sehr. Vor allem, wenn nicht von Anfang an klar ist, wie der Zusammenhang ist.Hier fügen sich die Zusammenhänge zwar schnell, aber es bleiben dennoch Fragen, die erst am Ende beantwortet werden bzw. biegt die Geschichte am Ende noch Wendungen, die ich so nicht habe kommen sehen.’Wohin du auch gehst’ hat mich bewegt und erschüttert und in seinen Bann gezogen. Bijoux habe ich von Anfang an ins Herz geschlossen. Ich habe mit ihr mit gelitten, getrauert, habe mich mit ihr gemeinsam verliebt und gehofft. Mit Mira, der zweiten Protagonistin musste ich erst warm werden. Die Autorin hat unser Lesende lange schmoren lassen, was sie so hart hat werden lassen. Christina Fonthes verwebt Familiendrama mit politischen Realitäten und gesellschaftlichen Themen. Wenn ich während des Lesens immer Mal wieder Suchmaschinen nutze, um selbst zu recherchieren und die realen Fakten nachzulesen, zeigt dafür, dass ich vollkommen in die Geschichte eingetaucht bin und mein Interesse entfacht ist. Dieses Buch hat meinen Horizont wieder einmal erweitert. Über die Unruhen in Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) wusste ich kaum etwas, ebensowenig, dass auch dort Homosexualität ein großes Tabuthema war. Geichwohl ich mir letzteres natürlich denken konnte.Wenn man die Themenvielfalt lesen würde, die dieses Buch behandelt bzw. abschneidet (Entwurzelung, Trauma, Missbrauch, häusliche Gewalt, HIV, Homophobie) könnte man davon ausgehen, dass es zu überleden, zu konstruiert sein wird. Aber das ist es nicht. Jedes Thema erhält seinen Raum. Und auch die Liebe bekommt ihren Platz. Ein feministischer Debütroman, der mehr von der Autorin hoffen lässt.


𝐃𝐈𝐄 𝐏𝐑𝐎𝐁𝐄

von Katie Kitamura

übersetzt von Henning Ahrens

Hanser Verlag’

Die Probe’ hat mich auf die Probe gestellt. Ich sag euch auch warum. Wenn ich viele Bücher in kurzer Zeit lese, dann brauche ich bei jedem Neuen Buch oft umso länger, um hineinzufinden. Schwierig bei einem Buch, dass insgesamt nur wenig Seiten hat. Es lag also vielleicht hat nicht am Buch selbst, dass ich anfangs zu sehr abschweifte, sondern an meinen mangelnden Lesepausen.

Nun aber endlich zum Buch. Das Leben rauscht an uns vorbei und viele von euch haben sich die Frage “Wo ist bloß die Zeit geblieben?” schon einmal gestellt. Dieses Buch ist auf eine interessante Art faszinierend. Zwei Teile, zwei Lebenswege, die selben Protagonist*innen. Mehr möchte zum genauen Geschehen nicht spoilern. Ein wenig kann ich aber doch erzählen. Es geht um Erfolg, uns Altern, um Ehe und Liebe, um Mutterschaft und Kinderlosigkeit, um das Buhlen um Zuneigung, um erste Liga oder zweite Reihe.

“Viele Leute sprachen über Kinder, als wären diese etwas, das man plante, sie bedachten nicht, dass auch Kinderlosigkeit geplant, anders gesagt weder eine Lücke noch ein Mangel war, auch die war auf dieser Welt eine Realität eigenen Rechts.” (Seite 64/65)

Ein bisschen viel für so ein schmales Büchlein, könnte man meinen, ist es aber nicht. Ich brauchte etwas, um dieses Buch zu begreifen und es ist wieder so ein Buch, bei dem ein ReRead sinnvoll erscheint. Die Schauspielerin, der Ehemann, der vermeintliche Sohn, sie alle haben mir manchmal Rätsel auf und ich konnte sie oft nur schwer greifen. Ihre Handlungsstrategien konnte ich oft nur schwer nachvollziehen, aber ist es nicht genau das , was und beim Lesen reizt? In die Psyche andere Menschen einzutauchen?

“Ein Halt inmitten der Turbulenzen meines Inneren …” (Seite 174)

Spannend fand ich die Beschreibung der Ehe. Auch wenn ich selbst nicht verheiratet bin, kann ich das Beziehungskarussell was hier beschrieben wird gut verstehen. Die namenlose Schauspielerin stellt fest, dass sich ihr Mann plötzlich nach Freiheiten sehnt, er der ihr immer die sichere Basis erscheint, über den sie die Hoheit hatte. Das fand ich wunderbar beobachtet. Affären spielen hierbei ebenso eine Rolle aber auch wunderbar beschriebene Frühstücksrituale.

“Durch diese Alltagsrituale band ich mich von neuem an die Ehe, in all ihrer Banalität.” (Seite 61)

Ein kurzes, aber dafür sehr intensives Buch, für dass man sich Zeit nehmen sollte.

Triggerwarnungen: Abtreibung, Fehlgeburt